Die Geschichte von Schloss Urach birgt Überraschungen
Das Uracher Schloss ist mehr als eine Generation älter als bislang immer angenommen: Diese Erkenntnis ist die größte Sensation unter den Ergebnissen der „Öffentlichen Vortragstage“ in Schloss Urach. Die Staatlichen Schlösser und Gärten luden zu dieser wissenschaftlichen Tagung Fachleute und Laien – und an drei Tagen war die einstige Residenz der Grafen und Herzöge von Württemberg ein Treffpunkt für alle historische Interessierten.
DER DACHSTUHL BIRGT DEN BEWEIS
Schloss Urach ist ein beeindruckender Bau. Gelegen ist das mächtige Fachwerkensemble in touristischer Top-Lage, in Bad Urach, das als idyllische historische Kleinstadt in einem romantischen Tal der Schwäbischen Alb immer wieder die typisch südwestdeutsche Kulisse für Filme und Fernsehserien hergibt. Was nur wenige wissen: Das Uracher Schloss war im späten Mittelalter nicht irgendein Schloss, sondern Residenz. Damals war die Grafschaft Württemberg aufgeteilt, ein Regierungssitz des Landes lag hier im beschaulichen Ermstal. Mit dieser wichtigen Funktion erklärte man lange die Größe des Schlosses.
DENDROCHRONOLOGIE STÜRZT BISHERIGE THESEN UM
Eine wissenschaftliche Tagung der Staatlichen Schlösser und Gärten in Schloss Urach Anfang Mai enthüllte jetzt allerdings: So einfach war es nicht. Dem Bauforscher Tilmann Marstaller ist es gelungen, das Schloss mit einem neuen Fertigstellungsdatum zu versehen. Die Technik des Wissenschaftlers: die Dendrochronologie. Dabei wird ermittelt, wann das verwendete Bauholz gefällt wurde. Für Urach war die historische Forschung bislang immer davon ausgegangen, dass es ab 1442, im Zuge der Aufteilung der Grafschaft, als Residenz erbaut wurde. Jetzt aber weiß man: Das Schloss bzw. sein Dachwerk waren bereits 1400 vollendet – und damit mehr als eine Generation früher. Zu dieser Zeit residierte der Hof von Eberhard III. von Württemberg noch in Stuttgart.
WAR DAS SCHLOSS AUS DER VISCONTI-MITGIFT FINANZIERT?
Warum also der riesige Schlossneubau? Dr. Patricia Peschel, als Konservatorin der Staatlichen Schlösser und Gärten für Schloss Urach zuständig, weist darauf hin, dass es mehr als außergewöhnlich sei, ein so großes Schloss nur als Jagd- und Lustschloss zu errichten. Eine mögliche Erklärung aus der historischen Situation sei vielleicht der der Einfluss der vornehmen italienischen Ehefrau des damaligen württembergischen Grafen. Nicht zuletzt könne man die üppige Mitgift der Gräfin Antonia aus dem reichen Geschlecht der Visconti dahinter vermuten. „Die Forschungen dazu stecken allerdings noch in den Anfängen“, sagt Peschel. Fürs erste haben aber jetzt die Staatlichen Schlösser und Gärten und die Schlossverwaltung von Urach eine ganz konkrete Aufgabe: Sie müssen die historischen Daten auf der Beschilderung am Schloss korrigieren.
Die Vorträge brachten noch weitere neue Erkenntnisse. Etwa, dass das Schloss, entgegen der bisherigen Annahmen, im gesamten 18. und bis ins frühe 19. Jahrhundert permanent von den württembergischen Herrschern genutzt wurde. Dafür wurde es auch regelmäßig nach der Mode der Zeit luxuriös eingerichtet. Bisher war immer davon ausgegangen worden, dass es nur von Herzog Carl-Eugen genutzt wurde. Jetzt weiß man, dass auch Herzog Eberhard Ludwig im frühen 18. und die Könige Friedrich und Wilhelm I. im frühen 19. Jahrhundert das Schloss nutzten. Neue Funde in den alten Schlossinventaren und in den Archiven machen es jetzt möglich, die Einrichtung des Schlosses lückenlos über die Herrschergenerationen zu dokumentieren!
DIALOG ZWISCHEN WISSENSCHAFTLERN UND LAIEN
Die Tagung in Schloss Urach veranstalteten die Staatlichen Schlösser und Gärten in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Institut der Universität Kiel und seinem Leiter Prof. Klaus Gereon Beuckers. Solche „Öffentlichen Vortragstage“ fanden auch bereits in Kloster Bebenhausen statt. In Urach kamen an drei Tagen Anfang Mai renommierte Wissenschaftler zu Wort: Sie trugen aktuellsten Forschungen zu Schloss, Stadt und den Regenten von Urach vor. Diskussionsrunden und Rundgänge vor Ort mit den Referenten gehörten ebenfalls zum Programm.
Das Interesse war groß – und die Vorträge zogen Fachpublikum und Laien gleichermaßen an. „Das macht den besonderen Reiz der Veranstaltung aus“, sagt Dr. Peschel. Das Gespräch zwischen Fachwissenschaftlern, Hobbyhistorikern und Laien sei immer außerordentlich fruchtbar, „spannende Diskussionen“ entwickelten sich, so die junge Kunsthistorikerin. In Urach waren es etwa 200 Zuhörerinnen und Zuhörer, die an drei Tagen an den Vorträgen teilnahmen. Für die Staatlichen Schlösser und Gärten gehört die wissenschafltliche Erschließung der Monumente zu den zentralen Aufgaben. Patricia Peschel gibt der Forschung einen ganz konkrete Nutzanwendung für die Schlösser und Gärten: „Die aktuellen Ergebnisse der Forschung fließen immer unmittelbar in unsere Arbeit ein und finden beispielsweise direkt ihren Niederschlag bei den Publikumsführungen“.